Zahlreiche Studien haben die Einführung des Mindestlohns wissenschaftlich begleitet. Aus allen lässt sich entnehmen: der Mindestlohn wirkt positiv! Wirtschaftsleistung und Beschäftigung entwickelten sich besser als vor der Mindestlohneinführung. Die wichtigsten Kennzahlen hierzu sind im ersten Teil dieses Beitrages dargestellt.
Es ist immer schwer beurteilbar, in welchem Ausmaß einzelne Effekte (wie beispielsweise die Mindestlohneinführung) für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung verantwortlich sind. Deshalb hat das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) anhand von Simulationsrechnungen ausschließlich die Auswirkung der Mindestlohneinführung auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung prognostiziert.
Bis zu 133.000 weniger Arbeitslose sind möglich!
Weitere Daten finden sich im zweiten Teil dieses Beitrags.
Die wichtigsten Daten und Auswirkungen seit Einführung des Mindestlohnes im Überblick*:
(Teil 1)
Grundsätzliches
– 4 Millionen Menschen hatten einen Anspruch auf Mindestlohn; die durchschnittliche Lohnerhöhung betrug 18 Prozent (Modellrechnung Statistisches Bundesamt 2016)
– zusätzlich haben die Arbeitnehmer*innen, die über den Mindestlohn lagen (zwischen 8,51 bis 10 Euro) ebenso von der Einführung profitiert, auch sie verzeichneten deutliche Lohnzuwächse bedingt durch den Mindestlohn;
Beschäftigung
– die Zahl der Arbeitnehmer ist um fast 1,2 Millionen Personen gestiegen (laut Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung (VGR): Zeitpunkt Ende 2014 – Ende 2016; genauso IAB)
– andere Studien zeichnen ein ähnliches Bild: alle stellen einen Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und einen Rückgang der prekären Mini-Jobs fest (IAB: Vom Berge u.a. 2017; Frentzen u.a. 2018)
– es gab sehr heftige „Ausschläge“ in den von der Mindestlohneinführung stark betroffenen Branchen; dies ist ein deutliches Indiz, dass ein großer Teil des Anstiegs der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung auf die Mindestlohneinführung zurück geht
– Die Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung war fast viermal so hoch wie der Rückgang der Zahl der ausschließlich geringfügig entlohnt Beschäftigten (Jahr 2015)
– übrigens: im Jahr 2008 behauptete das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) noch, die Mindestlohneinführung führe zu „einer Verringerung der Beschäftigung“ um 1,2 Millionen Menschen (S. 55), prognostizierte erhebliche Belastungen für die öffentliche Hand und riet von der Einführung des Mindestlohns ab;
– ARD-Online meldete am 18.08.2018 unter Berufung auf „Der Spiegel“:
Der Anstieg der versicherungspflichtigen Beschäftigung lässt die Beitragseinnahmen sprudeln, Reserve der Rentenkasse ist stärker gestiegen als prognostiziert; bis Ende 2018 wird ein Rekordhoch von rund 37,3 Milliarden Euro erwartet
– die Erwerbstätigenzahl ist von 2015 bis 2017 gestiegen: im Jahresdurchschnitt um 0,9; 1,3 und 1,5 Prozent
zusätzlicher Nachfrageeffekt
– Untersuchungen in 18 EU-Mitgliedsstaaten zeigen einen statistisch bedeutsamen Zusammenhang zwischen Mindestlohn und dadurch bedingte, zusätzliche Konsumausgaben:
demnach führt eine Mindestlohnerhöhung um (nur!) 1 Prozent zu einem Konsumanstieg von 0,3 bis 0,7 Prozent (Arpaia et al. 2017, S. 29/30 und Tab. 11)
– für Deutschland liegen noch keine Zahlen vor; trotzdem wird davon ausgegangen, dass auch in Deutschland die Mindestlohneinführung zu einer deutlichen Steigung der Konsumneigung geführt hat, das IMK geht davon aus, dass der Anstieg höher war als er bei einer allgemeinen Lohnerhöhung gewesen wäre
Preisentwicklung
– negative, gesamtwirtschaftliche Preiseffekte sind schwer feststellbar; Auswertungen diverser Studien anderer Länder lassen auf folgende „Faustformel“ schließen:
ein Anstieg des Mindestlohns um 10 % bewirkt einen Preiseffekt von rund 0,2 % (Lemos 2008, S. 196).
Wirtschaftsleistung
– das Bruttoinlandsprodukt (BIP) entwickelte sich nach Einführung des Mindestlohns dynamischer als in den Vorjahren
Besonderheit
– 2,7 Millionen Menschen haben im Jahr 2016 keinen Mindestlohn erhalten, obwohl er ihnen zustand! (Pusch, 2018)
Die beschriebenen, positiven Effekte wären wahrscheinlich deutlicher ausgefallen, wenn alle Berechtigten einen Mindestlohn erhalten hätten.
* soweit nicht anders angegeben, alle Zahlen zitiert nach Herzog-Stein u.a.
Simulationsergebnisse des makro-ökonometrischen Modells des IMK
(Teil 2)
Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) hat in einer Simulationsstudie die Auswirkungen der Mindestlohneinführung auf die Wirtschaft untersucht. Das Studiendesign bewirkte, dass die dargestellten und prognostizierten Veränderungen ausschließlich auf Einführung des Mindestlohns zurückzuführen sind. Andere wirtschaftliche Effekte wurden eliminiert. Dabei wird zwischen drei verschiedenen Szenarien und zwischen kurz-, mittel- und langfristigen Folgen unterschieden.
Szenario 1 (ohne weitere Vorgaben)
Bei diesem Szenario erfolgten keine weiteren Vorgaben. Betrachtet wurden nur die Auswirkung der Mindestlohneinführung.
Fast alle Kennzahlen wurden durch die Mindestlohneinführung deutlich positiv beeinflusst: Die Anzahl der Arbeitslosen sinkt kurz- und mittelfristig um über 20 Tausend jährlich. Der reale, private Konsum und die Staatseinnahmen erhöhen sich deutlich. Selbst das Bruttoinlandsprodukt (BIP-real) steigt bedingt durch die Mindestlohn-Einführung um (weitere) 0,27 Prozent im zweiten Jahr.
Szenario 1 (ohne weitere Vorgaben)
Abweichung vom Status quo „keine Mindestlohneinführung“ in Prozent | ||||
---|---|---|---|---|
Parameter | kurzfristige Folgen (2. Jahr) | mittelfristige Folgen (5. Jahr) | langfristige Folgen (10. Jahr) | |
nachr.:Beschäfti-gte (ohne Stru-ktureffekt) 1 |
+ 0,05 |
+ 0,13 |
+ 0,12 |
|
Privater Konsum, real |
+ 0,46 |
+ 0,48 |
+ 0,69 |
|
Investitionen, real |
+ 0,06 |
+ 0,03 |
+ 0,11 |
|
Löhne, nominal (pro Kopf) |
+ 1,27 |
+ 1,79 |
+ 2,07 |
|
Preisindex privater Konsum |
+ 0,21 |
+ 0,38 |
+ 0,49 |
|
Absolute Abweichung vom Status quo „keine Mindestlohneinführung“ |
||||
Arbeitslose |
– 21.000 |
– 25.000 |
– 14.000 |
1 (ohne Struktureffekt) bedeutet: Ohne Berücksichtigung der nur mindestlohnbedingten Umwandlung von Mini-Jobs zu sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung.
Lesehilfe: Beispielsweise im 5. Jahr nach Mindestlohneinführung steigt der private Konsum um 0,48 Prozent. Oder: Im 2. Jahr nach Mindestlohneinführung verringert sich die Zahl der Arbeitslosen um 21.000. Die dargestellten Veränderungen sind ausschließlich auf die Mindestlohneinführung zurückzuführen und nicht durch andere wirtschaftliche Effekte bedingt.
Szenario 2 (Vorgabe: defizitneutrale Finanzpolitik des Staats)
Von der Einführung des Mindestlohns profitiert auch der Staat. Seine Einnahmen steigen stärker (zusätzliche Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen) als die Ausgaben. Nutzt der Staat diesen Überschuss nicht um Schulden abzubauen, sondern erhöht stattdessen die Ausgaben im gleichen Verhältnis zu den Einnahmen (defizitneutrale Finanzpolitik; Szenario 2), verstärkt sich die positive Wirkung der Mindestlohneinführung.
Wirtschaftswachstum, Kaufkraft, Investitionen, Beschäftigung – alle entwickeln sich noch mal deutlich positiver. Selbst die Unternehmer profitieren! Die nominalen Bruttogewinne sind langfristig um 1,27 Prozent höher als ohne Mindestlohneinführung.
Absolute Abweichung vom Status quo „keine Mindestlohneinführung“ |
||||
Parameter |
kurzfristige Folgen (2. Jahr) |
mittelfristige Folgen (5. Jahr) |
langfristige Folgen (10. Jahr) |
|
Arbeitslose |
– 33.000 |
– 51.000 |
– 33.000 |
Szenario 3 (Vorgabe: Szenario 2 und makroökonomisch orientierte Lohnpolitik)
Szenario 3 baut auf Szenario 2 auf und berücksichtigt zusätzlich noch einemakroökonomisch orientierte Lohnpolitik, denn der Mindestlohn beeinflusst auch die Lohnhöhe von Arbeitnehmer*innen, die mehr als den Mindestlohn verdienen. Dadurch wird insgesamt die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass eine „gesamtwirtschaftlichen Lohnentwicklung im Sinneeiner makroökonomisch orientierten Lohnpolitik“ stattfindet.
In Szenario 3 entwickelt sich das Bruttoinlandsprodukt (BIP-real) mit einer Steigerung von 1,9 Prozent (10. Jahr) am positivsten. Genauso die Anzahl der Beschäftigten, allerdings kommt es hier zu einem Rückgang der nominalen Bruttogewinne und der Exporte.
Absolute Abweichung vom Status quo „keine Mindestlohneinführung“ |
||||
Parameter |
kurzfristige Folgen (2. Jahr) |
mittelfristige Folgen (5. Jahr) |
langfristige Folgen (10. Jahr) |
|
Arbeitslose |
– 25.000 |
– 125.000 |
– 133.000 |
Literatur:
Arpaia, A. / Cardoso, P. / Kiss, A. / Van Herck,K. / Vandeplas, A. (2017): Statutory Minimum Wages in the EU : Institutional Settings and Macroeconomic Implications. IZA Policy Paper Nr. 124 zitiert nach : Herzog-Stein u.a.
Frentzen, Kathrin/ Beck, Martin/ Stelzer, Jonas, 2018: Beschäftigungswirkungen des Mindestlohns. Statisches Bundesamt (Destatis), WISTA, S. 35-51
Herzog-Stein, Alexander; Camille Logeay, Patrick Nüß, Ulrike Stein, Rudolf Zwiener, 2018: POSITIVE GESAMTWIRTSCHAFTLICHE EFFEKTE DES GESETZLICHEN MINDESTLOHNS –EINE ÖKONOMETRISCHE ANALYSE. IMK Report 141, Juli 2018
Lemos, S. (2008): A Survey of the Effects of the Minimum Wage on Prices. In:Journal of Economic Surveys, Bd. 22,H. 1, S. 187-212 zitiert nach Herzog-Stein u.a.
Mindestlohnkommission (2016): ErsterBericht zu den Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns. Bericht der Mindestlohnkommission an die Bundesregierung nach § 9 Abs. 4 Mindestlohngesetz, Berlin zitiert nach Herzog-Stein u.a.
Pusch, Toralf, 2018: Bilanz des Mindestlohns: Deutliche Lohnerhöhungen, veringerte Armut, aber auch viele Umgehungen. WSI Policy Brief Nr. 19, 01/2018
Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (RWI); Ronald Bachmann, Thomas K. Bauer, Jochen Kluve, Sandra Schaffner, Christoph M. Schmidt: Mindestlöhne in Deutschland; Beschäftigungswirkungen und fiskalische Effekte; Heft 43; Jahr 2008
Statistisches Bundesamt (2016): 4 Millionen Jobs vom Mindestlohn betroffen. Pressemitteilung vom 6.4.2016 zitiert nach Herzog-Stein u.a.
Vom Berge, Philipp / Kaimer, Steffen / Copestake, Silvina / Eberle, Johanna / Klosterhuber, Wolfram, 09/2017: Arbeitsmarktspiegel – Entwicklungen nach Einführung des Mindestlohns (Ausgabe 4). In: IAB-Forschungsbericht, ISSN 2195-2655
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