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Scheinpraktikum oder echtes Praktikum? Eine Abgrenzung ist oft schwierig.
Nachfolgend finden Sie hierzu umfassende Informationen. Falls kein Scheinpraktikum bei Ihnen vorliegt, haben Sie möglicherweise Anspruch auf Mindestlohn!
Definition Praktikum (Kurzform):
Ein (echtes) Praktikum wird in der Rechtsprechung wie folgt beschrieben:
- der Ausbildungszweck muss im Vordergrund stehen, d.h. das Erlernen praktischer Kenntnisse und Erfahrungen muss „deutlich überwiegen“ (LAG Baden-Württemberg 08.02.2008, 5 Sa 45/07)
- ist keine systematische Berufsausbildung oder damit vergleichbare Ausbildung
- Praktikumsdauer darf nur vorübergehend sein
- ist Teil einer Gesamtausbildung
Folgen beim Scheinpraktikum:
Meistens kommt faktisch ein Arbeitsverhältnis nach § 611 BGB zustande, mit einem Anrecht auf eine (deutlich höhere) Bezahlung und zwar auf die übliche Vergütung, die einer „normalen“ Arbeitskraft für die entsprechende Tätigkeit gezahlt worden wäre (zur Höhe und Beweislast der üblichen Vergütung siehe weiter unten).
Das Zustande kommen eines faktischen Arbeitsverhältnisses ist keine zwingende Voraussetzung um mehr Geld zu erhalten: Das BAG hat in einem Fall bewusst offen gelassen, ob ein Arbeitsverhältnis zustande kam und trotzdem eine höhere Vergütung zugesprochen, allerdings nur für einzelne Tage je Woche (BAG 10.02.2015, 9 AZR 289/13).
Beweislast:
Die Praktikanten sind
a) darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses, allerdings gilt eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast (LAG Berlin-Brandenburg 20.05.2016, 6 Sa 1787/15). Abgestuft bedeutet, dass Indizien vorliegen müssen, die für ein Scheinpraktikum sprechen (z.B. die Gesamt-Dauer des Praktikums, siehe hierzu auch die Prüfungskriterien weiter unten). Ist dies der Fall, hat der Arbeitgeber die Beweislast, dass kein Scheinpraktikum vorlag.
b) darlegungs- und beweispflichtig für die Höhe der Vergütung
Es muss also die Höhe der übliche Vergütung, die der Arbeitgeber einer normalen Arbeitskraft hätte zahlen müssen, bewiesen werden. Dabei kann auf einen Tarifvertrag bzw. Tariflohn Bezug genommen werden, wenn dieser „verkehrsüblich“ ist ( LAG B.-Br. a.a.O. Rn 99; BAG 16.05.2012, 5 AZR 331/11)Verkehrsüblich ist ein Tariflohn, wenn
– mehr als 50 Prozent der Arbeitgeber eines Wirtschaftsgebiets tarifgebunden sindoder
– wenn die organisierten Arbeitgeber mehr als 50 Prozent der Arbeitnehmer eines Wirtschaftsgebiets beschäftigen.
Auch hierfür ist die Praktikantin darlegungspflichtig.
Immer als Scheinpraktikum zu bewerten ist es,
wenn eine fertige Absolventin eines einschlägigen Studiums ein Praktikum macht und mit überwiegend üblichen Arbeitnehmer-Aufgaben betraut wird, um somit nur den Einstieg in den Arbeitsmarkt vorzubereiten (LAG Berlin-Brandenburg 20.05.2016, 6 Sa 1787/15).
Von der Rechtsprechung bereits entschiedene Fälle nach Berufen (Scheinpraktikum lag vor)
Trockenbauer; LAG Rheinl.-Pfalz 24.04.2008, 10 Sa 782/07; Praktikum durch Vermittlung der Bundesagentur für Arbeit
Redakteurin; LAG Berlin-Brandenburg 20.05.2016, 6 Sa 1787/15;
Psychotherapeutin; BAG 10.02.2015, 9 AZR 289/13; 2 Tage je Woche kein Praktikum;
Sie kennen weitere Urteile hierzu? Gerne nehmen wir Hinweise entgegen.
Prüfungskriterien Praktikum/ Scheinpraktikum
- Gesamt-Dauer des Praktikums
Die gesamte Dauer eines Praktikums ist ein wichtiges Indiz. Je länger ein Praktikum dauert, um so unwahrscheinlicher wird es, dass es sich noch um ein echtes Praktikum handelt. Allerdings gibt es hier keine festen Zeitgrenzen.Der Rat der Europäischen Union hält im allgemeinen eine Praktikumsdauer von höchsten sechs Monaten für legitim ( Rat der Europäi. Union vom 10.03.2014, 2014/C88/01). Diese Empfehlung ist aber nicht verbindlich.
- persönliche und fachliche Qualifikation der Praktikantin
Eine Praktikantin, die bereits über die persönlichen und fachlichen Qualifikationen verfügt, die eigentlich erst mit dem Praktikum erworbenen werden sollten, ist eine Scheinpraktikantin. Ausnahme wäre nur, wenn die erworbenen Qualifikationen nicht mehr aktuell wären.Es muss also immer ein Defizit bezüglich persönlichen/fachlichen Qualifikationen oder deren zeitlicher Aktualität geben sein („Ausbildungszweck muss überwiegen“).
- Ausbildungsplan
Jedes echte Praktikum sollte einen Ausbildungsplan beinhalten.Ein Ausbildungsplan stellt die wesentlichen Ausbildungsinhalte zeitlich und inhaltlich dar, also z.B. wann und wie lange der Praktikant zu welchem Ausbildungszweck in welcher Abteilung/Bereich eingesetzt werden soll. Er sollte aufzeigen, welche Lernschritte, mit welchen Methoden, von wem vermittelt werden sollen. Nur schlichte Schlagwörter und allgemein gehaltene Formulierungen sind kein Ausbildungsplan (vgl. LAG Berlin-Brandenburg. a.a.O.).Nur das Vorhandensein eines Ausbildungsplans begründet – für sich allein betrachtet – noch kein echtes Praktikum.
- Anzahl der Praktikanten bei dem Praktikumsgeber
Hier sollte zum einen das Verhältnis Anzahl aller Praktikanten zu Anzahl aller regulären Arbeitnehmer einer Firma betrachtet werden. Handelt es sich um eine kleine oder mittelgroße Firma, bei der verhältnismäßig viele Praktikanten beschäftigt werden?Eine von der Firma gewollte Hierarchie unter den Praktikanten (wenn z.B. einzelne Praktikanten andere beaufsichtigen, Weisungen geben, kontrollieren usw.) dürfte ein deutliches Indiz auf ein Scheinpraktikum sein.Genauso, wenn in einzelne Abteilungen/Bereiche auffallend viele Praktikanten eingesetzt werden.
- Anzahl der „durchgelaufenen“ Bereiche/Abteilungen
Werden kaum oder keine Bereiche innerhalb eines längeren Zeitraums „durchlaufen“, so kann dies für ein Scheinpraktikum sprechen.